Eigentlich hat die Europäische Union keine Kompetenz zur Koordinierung von Geheimdiensten der Mitgliedstaaten. Im Falle Deutschlands würde dies auch gegen das Trennungsgebot verstoßen, wonach die Aufgaben von Polizei und Diensten streng getrennt bleiben sollen. Dessen ungeachtet drängt die deutsche EU-Präsidentschaft nun erstmals auf eine von Europol koordinierte operative Zusammenarbeit.
In einem deutschen Vorschlag für ein „koordiniertes Verfahren“ geht es um heimliche Personenfahndungen nach Artikel 36 des SIS-II-Ratsbeschlusses, die auf Listen von Geheimdiensten wie aus den USA, aber auch aus Nordafrika oder Westbalkan-Staaten basieren. Sie sollen in das Schengener Informationssystem (SIS II) eingetragen werden, auf das die Drittstaaten keinen Zugriff haben. Entsprechende Ausschreibungen dürfen nur von den beteiligten 26 EU-Mitgliedstaaten sowie Island, Norwegen, Liechtenstein und der Schweiz vorgenommen werden.
Europol empfängt und prüft
Dem Bundesinnenministerium zufolge soll Europol deshalb eine Hintertür installieren und die geheimdienstlichen Informationen aus Drittstaaten zunächst entgegennehmen und eine „erste Qualitätsprüfung“ durchführen. Dabei werden die Vertrauenswürdigkeit der Quelle und die Richtigkeit der erhaltenen Daten untersucht.
Europol soll beispielsweise prüfen, ob Personen anhand ähnlich geschriebener Namen oder Doppelidentitäten bereits im SIS II ausgeschrieben sind. Der hierfür zuständige Mitgliedstaat wird dann informiert und kann seine Ausschreibung mit den neuen Informationen, darunter auch Fingerabdrücke und/oder Gesichtsbilder, ergänzen.
Nach der „Qualitätsprüfung“ informiert die Polizeiagentur die jeweilige Ratspräsidentschaft und die Mitgliedstaaten über den Eingang der Listen. Einzelne Mitgliedstaaten können sich daraufhin bereit erklären, die aufgeführten Personen in das SIS II einzutragen. Erst dann sendet Europol die vollständige Liste an die willige Behörde. Nach einem Eintrag wird der Mitgliedstaat „Eigentümer“ der SIS-Ausschreibung und ist zuständig für die vorgeschriebene, regelmäßige Überprüfung der Speicherung.
Pilotprojekt wird verstetigt
Ausschreibungen, die auf Informationen von Drittstaaten beruhen, gehören zur alltäglichen Praxis von Geheimdiensten, bislang aber ohne Beteiligung der Europäischen Union. Meist handelt es sich dabei um bilaterale Vereinbarungen.
Im vergangenen Jahr hatten einzelne EU-Mitglieder das „koordinierte Verfahren“ bereits getestet, darunter Italien, die Tschechische Republik und Deutschland. Auskünfte dazu unterliegen jedoch der Geheimhaltung. Als Begründung nennt die Bundesregierung die „Third Party Rule“, wonach die ausländischen Geheimdienste die Freigabe der Informationen verbieten.
Das Pilotprojekt soll nun verstetigt werden. Nach Prüfung der geheimdienstlichen Informationen aus den Drittstaaten soll Europol die „Counter Terrorism Group“ (CTG) über den Empfang der Personenlisten informieren. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss von Inlandsgeheimdiensten der Schengen-Staaten, den der geheimnisumwitterte „Berner Club“ 2001 ins Leben gerufen hatte. Seit 2016 sondiert Europol eine engere Zusammenarbeit mit der CTG, nach offizieller Darstellung soll dies aber nur „strategisch“ erfolgen.
Einbindung von Interpol
Mit dem nun vorgeschlagenen „koordinierten Verfahren“ würde die Kooperation mit der CTG erstmals konkrete Maßnahmen betreffen. Dabei geht es vor allem um die Vermeidung von Doppelarbeit. Die CTG soll nach Erhalt der Namenslisten „Kommentare und Empfehlungen“ an Europol geben. Dies betrifft etwa Fälle, in denen die Personen bei der CTG bereits bekannt und zur Beobachtung ausgeschrieben sind. So kann ausgeschlossen werden, dass mehrere Behörden gleichzeitige Ausschreibungen derselben Personen im SIS II vornehmen.
Europol und die CTG sollen anschließend „in gegenseitiger Abstimmung über die weitere Bearbeitung der Liste entscheiden“. Auch Interpol kann hierzu um Mitwirkung ersucht werden.
In einem mehrstufigen Verfahren haben sowohl die Mitgliedstaaten als auch die nationalen CTG-Dienststellen die Möglichkeit, die Listen auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Dabei werden die Informationen und biometrischen Daten mit nationalen Datenbanken abgeglichen. Die zuständigen Behörden der teilnehmenden Mitgliedstaaten sollen Europol über die Verwendung der Listen informieren. Europol informiert darüber die zuständigen Ratsarbeitsgruppen „Terrorismus“, „Informationsaustausch“ und „Grenzen“.
Fragwürdige Kooperation
Werden die nach Artikel 36 des SIS-II-Ratsbeschlusses ausgeschriebenen Personen bei einer Polizeikontrolle angetroffen, erhält zunächst die eintragende nationale Behörde eine Meldung. Eine Festnahme oder Durchsuchung erfolgt dabei nicht, die Betroffenen sollen von der heimlichen Beobachtung möglichst nichts erfahren. Europol darf den Drittstaat, dessen Geheimdienst die SIS-Ausschreibung veranlasst hat, nach Genehmigung des ausschreibenden Mitgliedstaats ebenfalls über die Ergebnisse der Fahndung informieren.
Ob die von der Bundesregierung vorgeschlagene Kooperation Europols mit Geheimdiensten einer rechtlichen Überprüfung standhält, ist fraglich. Fragwürdig ist nicht nur die Koordination der Ausschreibungen für Geheimdienste. Bei den Personenlisten aus Drittstaaten dürfte es sich vorrangig um sogenannte „Gefährder“ handeln und nicht um Personen, die einer Straftat verdächtig sind.
Die Polizeiagentur darf der geltenden Europol-Verordnung zufolge aber nur zur Strafverfolgung tätig werden. Weil Europol dabei immer öfter Massendaten verarbeitet, die überdies auch Nicht-Beschuldigte betreffen, wurde die Agentur erst kürzlich vom Europäischen Datenschutzbeauftragten gerügt.
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